Ue, crisi finanziaria, Germania, Grecia
● Il ministro tedesco Esteri Westerwelle (FDP): al fine di assicurare l’influenza tedesco-europea nel mondo occorre completare l’unità europea per poter mobilitare tutte le riserve. «In futuro ci troveremo di fronte a sfide che oggi neppure ci immaginiamo»
● In particolare Westerwelle chiede di:
● 1. rafforzare l’Unione monetaria:
o di fronte alla crisi greca, Westerwelle ribadisce la richiesta del suo governo di abrogare la sovranità dei singoli paesi UE sui bilanci statali.
● 2. procedere al coordinamento della politica militare militarizzazione della UE, uno strumento per accrescere la coesione interna finora insufficiente.
● Con l’Euro viene messo in discussione uno strumento fondamentale per i piani di potenza della Germania:
o La moneta unica europea, concepita come concorrente del dollaro USA, doveva aiutare Germania e UE a competere con gli USA;
o l’euro assieme ad una comune politica militare, doveva anche servire a favorire l’unità interna dell’Europa, da utilizzare per una assertiva politica di grande potenza europea.
o La UE è giunta ad un punto critico, il suo peso internazionale relativo sta diminuendo: blocchi economici in Asia ed America Latina in grado di farle concorrenza,
o mentre la popolazione europea è in stagnazione, il Brasile ad es. ha una popolazione in forte crescita e per il 25% sotto i 15 anni,
o I singoli governi dovrebbero sottoporre il bilancio statale e prima al gruppo UE (tramite la Commissione UE o una commissione istituita dai governi nazionali, o un “commissario al risparmio”) e solo dopo al parlamento nazionale. Le decisioni dell’eurogruppo sarebbero “vincolanti”, cioè un diktat sui bilanci nazionali.
– Importanti circoli economici della Germania esprimono forti critiche sul’unione monetaria,
o già dagli inizi ritenuta un’impresa temeraria a causa delle disparità della zona euro; non si può più escluderne il fallimento (IDW).
o Un paese con produttività minore o maggiore costo del lavoro accumula più velocemente un deficit di bilancio, e giunge ad una forte disoccupazione.
o La spinta a indebitarsi per rafforzare l’economia diventa forte, e porta ad una spirale di indebitamento.
o Ma in una Unione Monetaria non è possibile scaricare i debiti con l’inflazione in un solo paese.
● Non potendo ricorrere alle solite vie di fuga (inflazione) per risolvere la crisi greca ecco che sia arriva a forti scontri; e non è da escludere neppure la fine dell’Euro.
– Critiche dall’estero alla proposta tedesca sul controllo dei bilanci nazionali,
o l’euroscettico presidente ceko, Vàklav Klaus: qualsiasi unione monetaria per funzionare necessita di omogeneità nello sviluppo economico,
o in caso contrario, a causa della moneta unica le forti disparità (ad es. tra Irlanda, e Grecia, o Portogallo e Finlandia, non possono essere ricomposte ricorrendo alla svalutazione.
o La Grecia ad es. dovrebbe svalutare rispetto alla Germania di circa il 40%,
o non potendolo fare si rischia una riduzione di salari e stipendi,
o cosa non facile in una società democratica.
– Klaus non pensa che l’Euro fallirà, ma i costi daranno molto alti.
Valutazione confermata dalla richiesta tedesca di disautorare sul bilancio statale i parlamenti democraticamente eletti.
– (Eigener Bericht) – Der deutsche Außenminister bekräftigt angesichts der Griechenland-Krise die Forderung der Bundesregierung nach einer Aufhebung Haushaltssouveränität von EU-Mitgliedstaaten. Man müsse "tief gehende Anpassungen" in der Eurozone vornehmen, verlangte Guido Westerwelle in einer europapolitischen Grundsatzrede an diesem Dienstag.
– "Denkverbote" etwa darüber, ob eine Regierung ihren Etat künftig nicht "zuerst der Eurogruppe" vorzulegen habe "und erst dann dem nationalen Parlament", dürfe es nicht geben. Gleichzeitig fordert der Außenminister neue Schritte zur Militarisierung der EU.
o Eine "innere Einheit Europas" sei bisher nicht ausreichend vorhanden; dem könne eine koordinierte Militärpolitik ("Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik") abhelfen.
– Während Berlin seine Forderungen mit aller Kraft durchzusetzen sucht, nimmt die Kritik an der Währungsunion, einem zentralen Element des deutschen Weltmachtstrebens, zu. Selbst in tonangebenden Kreisen der deutschen Wirtschaft heißt es mittlerweile, man habe von Anfang an gewusst, dass die Währungsunion wegen der Disparitäten in der Eurozone "ein Wagnis" sei. Ein Scheitern des Euro sei nicht länger auszuschließen.
Kein "Weiter so"
– Der deutsche Außenminister verlangt neue Anstrengungen zur Sicherung des deutsch-europäischen Einflusses in aller Welt. Wie Westerwelle am Dienstag in einer europapolitischen Grundsatzrede in der Bonner Universität erklärte, stehe die EU "an einem kritischen Punkt in ihrer Geschichte". Vor allem in Asien und in Lateinamerika entstünden "Wirtschaftsblöcke", die mit Europa konkurrieren könnten.
o "Das sind junge Gesellschaften, die Lust auf Wettbewerb haben", sagte Westerwelle etwa mit Blick auf Brasilien; dort seien 25 Prozent der Menschen jünger als 15 Jahre, die Einwohnerzahl wachse rasch, während Europa deutlich überaltere und bei der Einwohnerzahl stagniere. "Als Folge dieser demographischen Entwicklung schwindet Europas relatives Gewicht in der Welt", warnte der Außenminister. "Europa" könne sich "ein einfaches ‘Weiter so’ nicht leisten". Es gehe nun vor allem darum, die "innere Einheit Europas (zu) vollenden", um alle Reserven zur Sicherung des weltweiten Einflusses mobilisieren zu können.[1]
– Dies gilt laut Westerwelle insbesondere für die Währungsunion. Es sei "unübersehbar, dass wir in der Eurozone tief gehende Anpassungen vornehmen müssen", erklärte der Außenminister mit Blick auf die aktuelle Krise in Griechenland. Er bekräftigte Forderungen der Bundesregierung, die darauf hinauslaufen, die Souveränität der EU-Staaten in Haushaltsfragen aufzuheben und damit die Hoheit nationaler Regierungen über den Kernbereich staatlichen Handelns zu brechen. Man solle "stärkere Eingriffsrechte der europäischen Statistikbehörde" festlegen; zudem sei "ein Überwachungssystem für Leistungsbilanzdefizite" einzurichten. Für weitere Schritte dürfe es keine "Denkverbote" geben. Zu diskutieren sei, ob die Regierung eines Staates mit defizitärem Etat nicht "den Haushaltsentwurf zuerst der Eurogruppe vorlegen muss und erst dann dem nationalen Parlament". Die Stellungnahme der Eurogruppe könne in diesem Falle durchaus "bindend" sein – faktisch also ein Haushaltsdiktat. Der deutsche Außenminister schlug darüber hinaus vor, die Haushalte der EU-Staaten überwachen zu lassen – durch die EU-Kommission oder einen von den Regierungen eingesetzten Ausschuss -; alternativ dazu könne "ein Sparkommissar" aus Brüssel entsandt werden. "Diese Fragen", erklärte Westerwelle, "müssen wir sehr offen diskutieren."[2]
In einer Demokratie nicht einfach
– Die deutschen Gewaltvorschläge stoßen im Ausland zunehmend auf Kritik. Langjährige Skeptiker, etwa der tschechische Staatspräsident Vaáclav Klaus, sehen sich bestätigt. "Jede Währungsunion braucht eine gewisse Homogenität", urteilt Klaus in einem aktuellen Zeitungsinterview; im Gegensatz dazu seien die Unterschiede "zwischen Irland und Griechenland oder zwischen Portugal und Finnland (…) sehr groß".[3]
– Griechenland etwa benötige wegen seiner von der Bundesrepublik abweichenden wirtschaftlichen Entwicklung eigentlich "eine Abwertung von etwa vierzig Prozent";
– weil dies wegen der Einheitswährung nicht möglich sei, drohe jetzt eine "Senkung aller Löhne und Gehälter um vierzig Prozent". "Das ist nicht so einfach in einer demokratischen Gesellschaft", sagt Klaus. Mit einem Scheitern des Euro rechnet er dennoch nicht. "Die Politiker werden das Scheitern des Euro nicht zulassen, aber die Kosten dafür werden sehr hoch sein", vermutet der tschechische Staatspräsident – ein Gedanke, der durch die deutsche Forderung bestätigt wird, den demokratisch gewählten Parlamenten das Recht zur Gestaltung ihres Staatshaushalts zu nehmen.
– Die Auffassung, die Eurozone sei zu inhomogen, um auf Dauer ohne Schwierigkeiten bestehen zu können, wird inzwischen auch von führenden Kreisen der deutschen Wirtschaft geteilt. "Sowohl der Wissenschaft als auch der Politik war von Anfang an klar, dass eine Währungsunion ein Wagnis sein würde", erklärt die Leiterin des Hauptstadtbüros des Instituts der deutschen Wirtschaft in einem Internet-Beitrag für die Zeitschrift Internationale Politik. Der Grund sei "simpel": "Wenn es nur ein gemeinsames Geld gibt, dann fallen die Wechselkurse weg." Ein Land mit niedrigerer Produktivität oder höheren Arbeitskosten sammele "rascher als sonst ein Leistungsbilanzdefizit an, und es kommt zu einer sich verhärtenden Arbeitslosigkeit".
– Der Anreiz, sich zur Stärkung der eigenen Wirtschaft höher zu verschulden, sei stark und führe leicht zu einer Schuldenspirale. "In einer Währungsunion lassen sich diese Schulden zudem nicht mehr einseitig weginflationieren" – "ein durchaus gängiges und beliebtes Mittel".[4] Weil die üblichen Auswege verschlossen seien, komme es nun zu heftigen Auseinandersetzungen um die Lösung der Griechenland-Krise; selbst das Ende des Euro sei nicht länger auszuschließen.
– Mit dem Euro steht allerdings ein Instrument zur Debatte, das eine wichtige Bedeutung für die deutschen Weltmachtpläne besitzt:
o Die europäische Währung ist als Konkurrentin zum US-Dollar konzipiert und soll Deutschland und der EU helfen, mit den Vereinigten Staaten zu rivalisieren.[5] Zusätzlich gilt der Euro in Berlin als Mittel, um eine innere Einheit Europas zu befördern, die für eine schlagkräftige europäische Weltmachtpolitik nützlich ist. Wie der deutsche Außenminister in seiner europapolitischen Grundsatzrede vom Dienstag bestätigte, will Berlin diese "innere Einheit" außerdem durch eine gemeinsame Militärpolitik erreichen.
o "In Zukunft werden wir vor Herausforderungen stehen, von denen wir heute noch gar nichts ahnen", orakelte Westerwelle unbestimmt und forderte: "Auch darauf müssen wir uns vorbereiten." Das "langfristige Ziel der Bundesregierung" sei dabei "der Aufbau einer europäischen Armee"; die "Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik" könne "ein Motor für das weitere Zusammenwachsen Europas werden".[6] Nach ähnlichem Muster ist das Deutsche Reich 1871 im Krieg gegen Frankreich entstanden [7]; entsprechend hoch war die Bedeutung, die das Militär im Reich besaß.
Weitere Hintergründe zur Griechenland-Krise finden Sie hier: Das Ende der Souveränität (II), Vor dem Sturm, Das Ende der Souveränität (III), Germanische Strenge, Ein Tabubruch, Sparen für Deutschland und Die Frage der Führung.
[1], [2] "Deutschland in Europa – eine Standortbestimmung". Rede von Bundesaußenminister Guido Westerwelle an der Universität Bonn am 27. April 2010
[3] "Der Euro war eine falsche Entscheidung"; Frankfurter Allgemeine Zeitung 28.04.2010
[4] Der Euro als Mausefalle; www.internationalepolitik.de 13.04.2010
[5] s. dazu Vom Dollar zum Euro
[6] "Deutschland in Europa – eine Standortbestimmung". Rede von Bundesaußenminister Guido Westerwelle an der Universität Bonn am 27. April 2010
"Deutschland in Europa – eine Standortbestimmung“ – Rede von Bundesaußenminister Guido Westerwelle an der Universität Bonn
— Es gilt das gesprochene Wort! —
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für Ihre Einladung und die freundliche Begrüßung an meiner Alma Mater. Es ist schön, nach über zwanzig Jahren wieder hier zu sein. Zwei Jahrzehnte sind eine lange Zeit. Nicht nur in einem Menschenleben, auch in der Politik.
An Europa kann man das besonders gut ablesen. Als ich noch hier in Bonn studierte, hatte die damalige Europäische Gemeinschaft gerade mal neun Mitglieder. Unser Kontinent, unser eigenes Land waren geteilt. Millionen von Europäern wurde das Recht zur freien Selbstbestimmung vorenthalten. Und selbst im freien Teil Europas musste man an Grenzen warten und Pässe vorzeigen, wenn man ein anderes Land besuchen wollte.
Vom Geldwechseln rede ich noch gar nicht. Auf einer Reise von Bonn nach Lissabon stand man dafür gleich dreimal an. Man hatte zuhause die Mark in der Tasche, tauschte in Frankreich Francs, in Spanien Peseten und an der Grenze hinter Salamanca Escudo, und das natürlich immer gegen Gebühr. Nach zwei Wochen kam man mit einem Beutel Münzen zurück.
Wer hätte damals für möglich gehalten, dass man nur eine Generation später in Bonn mit der gleichen Währung bezahlt wie in Dublin oder sogar in Pressburg, das damals hinter dem Eisernen Vorhang lag? Oder dass man ohne eine einzige Passkontrolle auf dem Landweg von Portugal bis nach Estland kommt, damals noch ein Teil der Sowjetunion?
Schon zu meiner Schüler- und Studentenzeit war Europa ein einzigartiges und erfolgreiches Versöhnungs- und Friedensprojekt. Aber die Staatsmänner dieser Zeit waren weitsichtig genug, nie inne zu halten und die Integration weiter zu vertiefen.
Was Konrad Adenauer und Theodor Heuss begonnen haben, setzten Willy Brandt und Walter Scheel, Helmut Schmidt, Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher fort. Sie vertieften die europäische Integration und legten so den Grundstein für die deutsche und die europäische Vereinigung. Heute leben 500 Millionen Europäer aus 27 Ländern in einem gemeinsamen Rechtsraum in Frieden, in Freiheit und nie da gewesenem Wohlstand.
In diesem Europa lebt es sich besser als zu irgendeiner Zeit in seiner Geschichte.
Und um genau dieses Europa mache ich mir große Sorgen.
Die Europäische Union[e] steht an einem kritischen Punkt in ihrer Geschichte.
Ich sehe Europa ernsthaft herausgefordert, von innen und von außen.
Nichts wäre gefährlicher als die Illusion, wir könnten zukünftig das europapolitische Kapital einfach verwalten.
Europa bleibt auch in unseren Tagen eine politische und gesellschaftliche Gestaltungsaufgabe.
bei zu vielen ihrer eigenen Bürger löst die Europäische Union[e] heute zuerst einmal Unbehagen aus.
Denken wir an die Wahlen zum Europäischen Parlament. Bei der Europawahl im vergangenen Jahr lag die Wahlbeteiligung europaweit bei 43%, niedriger als je zuvor. Seit der ersten Direktwahl 1979 ist die Wahlbeteiligung jedes Mal gesunken.
Wir haben es mit einem Paradoxon zu tun, das uns zu denken geben muss.
1979 gingen noch 63% der Wahlberechtigten zu den Urnen, um ein Europäisches Parlament zu wählen, das nur beraten konnte, aber nichts entscheiden. Dreißig Jahre später hat das Europäische Parlament bei der europäischen Rechtssetzung wirklich etwas zu entscheiden. Ohne seine Zustimmung gibt es keine Europäische Kommission. Und was passiert? Die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler bleibt zu Hause.
Oder denken wir an Volksabstimmungen zu europäischen Verträgen. Daraus wurden in den letzten Jahren vielfach Misstrauensvoten gegen Europa im Ganzen.
Das allein wäre schon Grund zur Sorge.
Und oben drauf lesen Sie jeden Tag in der Zeitung von den Problemen in Griechenland.
Griechenland und die innere Abkehr vieler Europäer von der europäischen Idee ist nur ein Teil der Probleme, die vor uns liegen.
Heute kommen die Herausforderungen für Europa von innen und von außen. Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass Europa im globalen Wettbewerb bestehen wird.
Den Wunsch nach Wohlstand für alle hat Europa nicht gepachtet. Um uns herum treten neue, dynamische Akteure auf. Um uns herum entstehen Wirtschaftsblöcke und Freihandelszonen, die dem Vorbild der Europäischen Union[e] nacheifern. Das habe ich bei meinen Reisen nach Lateinamerika, nach Asien und an den Golf eindrucksvoll erfahren.
Das sind junge Gesellschaften, die Lust auf Wettbewerb haben, weil sie mehr Wohlstand für sich wollen. In Brasilien sind gut ein Viertel der Menschen jünger als 15 Jahre (26,7 Prozent). In Südafrika sind es fast 30 Prozent (28,9 Prozent). Bei uns beträgt der Anteil der unter 15-Jährigen knapp 14 Prozent (13,8 Prozent). Zeitgleich werden die Gesellschaften Europas immer älter.
Europa nimmt nicht am rasanten Wachstum der Weltbevölkerung Teil. Die wächst jedes Jahr um knapp 80 Millionen, das entspricht fast der Bevölkerung Deutschlands. In Europa dagegen stagniert die Bevölkerung oder schrumpft sogar. Als Folge dieser demographischen Entwicklung schwindet Europas relatives Gewicht in der Welt.
Prognosen sehen bis zum Jahr 2050 die Weltbevölkerung bei über 9 Milliarden. Der Anteil der Europäer dürfte dann auf etwa 7 % der Weltbevölkerung gesunken sein. Noch stärker sinkt der Anteil, wenn man auf die Europäer im arbeitsfähigen Alter schaut.
Aus diesen Beispielen sehen Sie schon: Europa kann sich ein einfaches „Weiter so“ nicht leisten.
Im Gegenteil. Die innere Gleichgültigkeit und der äußere Wettbewerb fordern uns heraus.
Werden wir erreichen, dass Europa für Sie hier im Saal und auch für die Bürgerinnen und Bürger Europas zur ureigenen Angelegenheit wird? Wird es uns gelingen, dass die in Europa über Jahrhunderte entstandenen Ideen von individueller Freiheit und universellen Menschenrechten stark bleiben, und dass sie sich auch weltweit ausbreiten? Werden wir trotz sinkendem Anteil an der Weltbevölkerung unsere Position halten oder sogar ausbauen? Können wir die wachsenden Märkte außerhalb Europas als Chance nutzen?
Ich sehe in den nächsten Jahren drei große Aufgaben, die wir gemeinsam bewältigen müssen, damit wir all diese Fragen mit “ja“ beantworten können.
Erstens müssen wir die innere Einheit Europas vollenden.
Zweitens müssen wir langfristig die Stabilität der Wirtschafts- und Währungsunion und damit unseren Wohlstand sichern.
Und drittens, wir müssen dafür sorgen, dass Europa auch nach außen geschlossen auftritt.
Europa ist noch nicht wirklich eins. Europa ist noch nicht vollendet. Viele haben noch immer das Gefühl, dass Frankreich uns näher liegt als Polen, dass Frankreich selbstverständlicher zu Europa gehört als Polen.
Von einer echten gesamteuropäischen Einheit sind wir noch weit entfernt. Ein Franzose sieht sich in erster Linie als Franzose, ein Bulgare ist zuerst Bulgare, ein Pole zuerst Pole.
So wie es ganz selbstverständlich ist, dass man Deutscher ist oder Rheinländer, so muss es ganz selbstverständlich werden, dass man auch Europäer ist.
Ich sage „auch“ Europäer. Denn es wäre völlig lebensfremd, die gewachsenen Unterschiede in Europa klein reden oder abschaffen zu wollen. Unsere historischen Erfahrungen sind unterschiedlich, unsere Lebenserfahrung ist unterschiedlich. In Lettland oder Polen spricht man über Russland anders als in Frankfurt an der Oder. Und in Frankfurt am Main oder in Bonn am Rhein wieder ganz anders. Die gewachsenen Traditionen der europäischen Staaten muss man achten und nicht missachten.
Mit einer vermeintlichen Spaltung Europas in ein altes und ein neues Europa hat das nichts zu tun. Es gab Meinungsunterschiede, und die wird es auch in Zukunft immer wieder geben.
Der Wettbewerb von Ideen ist die Grundlage der Demokratie innerhalb der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, und dieser Wettbewerb ist auch zwischen den Mitgliedsstaaten richtig und wichtig.
Die Unterschiede zwischen den Staaten Europas sind eine Tatsache, aber keine Schwäche. Sie machen Europa zu einem Kontinent der Vielfalt.
Ich komme gerade von einem Treffen mit meinen Kollegen, den Außenministern Frankreichs und Polens. Diese Zusammenarbeit geht zurück auf ein Treffen der Außenminister Hans-Dietrich Genscher, Roland Dumas und Krzysztof Skubiszewski in Weimar und hat seit 1991 als Weimarer Dreieck Bestand. Deutschland arbeitet mit beiden Ländern, Frankreich und Polen, die unter den deutschen Verbrechen im 20. Jahrhundert unendlich gelitten haben, heute gemeinsam an europäischen Lösungen.
Das Weimarer Dreieck steht für die feste Verankerung Deutschlands im Westen ebenso wie für die Aussöhnung und das Zusammenwachsen Europas in Richtung Osten.
Für den Erfolg der EU heute ist die Freundschaft zwischen Deutschen und Franzosen so unverzichtbar, wie auch ein besseres Verständnis zwischen Deutschen und Polen unverzichtbar ist. Deshalb habe ich seit dem Tag meines Amtsantritts großen Wert darauf gelegt, dass auch in der deutschen Debatte über das Zentrum gegen Vertreibung der Gedanke der Versöhnung immer im Vordergrund stand.
Ich war vor etwas über einer Woche in Krakau bei der Beisetzung des verunglückten Präsidenten Polens. Der Abschied von Lech Kaczynski hat mich tief bewegt. Ich weiß, dass die Gedanken und das Mitgefühl vieler Deutscher angesichts der schrecklichen Tragödie in Smolensk in dieser schweren Zeit bei unseren Nachbarn in Polen sind. Die Menschen in Deutschland empfinden aufrichtige Anteilnahme und tiefe Trauer. Das ist das Zusammengehörigkeitsgefühl, das in Europa heute möglich ist.
Die Freundschaft mit Frankreich ist in unseren Köpfen und Herzen fest verankert. Ich möchte erreichen, dass das auch für die Freundschaft mit Polen gilt. Ich habe meinen ersten Antrittsbesuch deshalb in Warschau gemacht. Polen und die übrigen Mitgliedsstaaten aus Mittel- und Osteuropa schauen mit großer Erwartung und großer Hoffnung auf Deutschland. Sie können sich auf die Unterstützung der Bundesregierung verlassen.
Und dabei denken wir auch weiter. Europa hört an den Außengrenzen der Europäischen Union[e] nicht auf.
Auf dem westlichen Balkan wird entschlossen daran gearbeitet, Teil der Europäischen Union[e] zu werden.
Die Gesten der Versöhnung, die wir dort in den letzten Wochen und Monaten beobachten, waren über Jahre hinweg völlig unvorstellbar. Das sie heute möglich sind, ist auch der europäischen Perspektive dieser Länder zu verdanken.
Auch für die Türkei gelten die getroffenen Vereinbarungen mit der Europäischen Union. Die Türkei hat einen Anspruch auf faire Verhandlungen und Vertragstreue.
Dialog und Partnerschaft prägen das Verhältnis zu unseren Nachbarn östlich der EU-Außengrenzen. Das gilt für die Ukraine. Das gilt vor allem auch für die strategische Partnerschaft mit Russland. Ganz Europa kann nur davon profitieren, Russland möglichst eng in unsere europäische Partnerschaft einzubinden. Gute Nachbarschaft geht nicht mit Ausgrenzung, gute Nachbarschaft braucht Vertrauen und Zusammenarbeit.
Das Verhältnis der Staaten Europas zueinander war über Jahrhunderte von Auseinandersetzungen und Krieg geprägt. Dennoch haben sie zu einem friedlichen Interessenausgleich gefunden. Sie sitzen in Brüssel am Verhandlungstisch, jeder hat Sitz und Stimme, kleine und große Staaten. Für die innere Einheit Europas ist die Gleichberechtigung der EU-Staaten unabdingbar. Das ist ein Grundpfeiler der Europäischen Integration. Es gibt keine wichtigen oder weniger wichtigen Staaten. Europa ist das gemeinsame Projekt aller Mitgliedsstaaten.
Auch in der EU, wo wir in Brüssel tagtäglich eng zusammen arbeiten, müssen wir unsere bilateralen Beziehungen pflegen. Eine starke, vertrauensvolle Beziehung ist Voraussetzung für eine offene Debatte.
Deutschland hat neun unmittelbare Nachbarn. Damit kommt Deutschland auch eine besondere Verantwortung zu, die Interessen aller Mitgliedsstaaten im Blick zu behalten. Das gilt für das Ringen um Kompromisse in der EU, und das gilt für internationale Gremien wie die G20, bei denen nicht alle mit am Tisch sitzen. Die Bundesregierung wird sich um die Abstimmungsprozesse der Europäer im Vorfeld dieser Treffen kümmern.
Die gute Zusammenarbeit der Regierungen ist aber nur ein Bestandteil einer Partnerschaft. Mindestens ebenso wichtig ist die gegenseitige Verständigung zwischen den Bürgerinnen und Bürgern. Eine politische Partnerschaft kann nur durch ein Zusammenwachsen der Gesellschaften dauerhaft verankert werden.
Das ist eine Kernaufgabe unserer Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik.
Wir wollen ein regionales Netzwerk der über 250 deutschen Partnerschulen in Osteuropa aufbauen. Wir werden den Austausch von Nachwuchsführungskräften aus der Wirtschaft verstärken.
Als ich in den 80er Jahren studierte, ging kaum jemand für ein oder zwei Semester an eine Universität nach England oder nach Frankreich. Heute ist ein Studium in einem anderen europäischen Land ganz normal. Erasmus und Sokrates gehören zu den erfolgreichsten Bildungsprogrammen aller Zeiten. Im Gründungsjahr 1987/88 nahmen 650 Studenten aus Deutschland teil, zehn Jahre später waren es schon fast 14.000, weitere zehn Jahre später über 23.500. Seit Bestehen des Programms gab es europaweit fast 2 Millionen Teilnehmer.
Die Zeiten sind vorbei, dass man nur an die Sorbonne denkt oder an Oxford und Cambridge.
Es ist Zeit, an die Karls-Universität in Prag zu denken, die älteste Universität in Mitteleuropa. Es ist Zeit, an die deutschsprachige Andràssy Universität in Budapest zu denken oder das Europakolleg in Natolin bei Warschau.
Die Investition in Ihre eigene Ausbildung ist auch eine Investition in die Zukunft Europas.
Wir sind mit einer umfassenden inneren Einheit Europas noch lange nicht am Ziel. Das gilt nicht nur für das Zusammenwachsen der europäischen Gesellschaften, das gilt auch für die Geburtsstätte der europäischen Integration, für die Zusammenarbeit innerhalb der Wirtschaftsunion. Und das gilt vor allem auch für die Währungsunion.
Damit komme ich zur zweiten großen Herausforderung für Europa.
Es geht um die Zukunft des Euro. Mit dem Euro steht und fällt die gesamte Wirtschafts- und Währungsunion. Die Sorge um die Stabilität des Euro ist eine der drängendsten Sorgen der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Diese Sorge nehme ich sehr ernst.
Griechenland ist heute in einer schwierigen Lage, und die Probleme Griechenlands können den gesamten Euroraum treffen. Viele dieser Probleme sind hausgemacht. Man hat die wahre Lage des Landes über Jahre hinweg verschleiert. Auf der anderen Seite hat man vielleicht auch nicht genau genug hingeschaut. Vielleicht wurden Kontrollpflichten nicht richtig erfüllt. Aber es geht nicht um Schuldzuweisung. Es geht darum, dass wir die Krise überwinden.
Wir sind bereit, unserer Verantwortung für unsere Währung gerecht zu werden. Darauf kann sich jeder Bürger in Deutschland verlassen. Nur mit einer stabilen Währung können wir Wohlstand sichern und soziale Gerechtigkeit gewährleisten.
Aber wir stellen keine Blankoschecks aus. Es ist doch keine Antwort auf die Krise, wenn die Steuerzahler in Europa für das Fehlverhalten anderer gerade stehen müssen. Griechenland muss seine Hausaufgaben machen. Hilfe kann nur die ultima ratio sein, wenn wir unsere eigene Währung schützen müssen.
Griechenland steht vor harten und tiefen Einschnitten. Vor der mutigen und entschlossenen Sanierungspolitik von Ministerpräsident Papandreou habe ich großen Respekt. Bei seiner schweren Aufgabe und den entschiedenen Reformen kann er auf die Unterstützung der Bundesregierung zählen.
Aber eins ist klar. Wir wollen die Europäische Union, aber wir wollen keine Transferunion zu Lasten Deutschlands.
Das Beispiel Griechenland zeigt über die gegenwärtige Krise hinaus die Stärken und die Schwächen der Wirtschafts- und Währungsunion.
Die Stärke der Wirtschafts- und Währungsunion wird gerade in der Krise deutlich. Der Euro und der gemeinsame Markt haben verhindert, dass Protektionismus und Währungsspekulationen gegen einzelne Staaten die Krise weiter vertieft haben. Die Mitgliedsstaaten der EU müssen die Krise nicht allein meistern.
Es ist unübersehbar, dass wir in der Eurozone tief gehende Anpassungen vornehmen müssen. Ein Fall Griechenland darf sich nicht wiederholen. Europa kann nur dann als Solidargemeinschaft Bestand haben, wenn alle Europa als Verantwortungsgemeinschaft verstehen.
Wir werden dafür sorgen, dass wir nach den Debatten der letzten Wochen nicht zur Tagesordnung übergehen. Wir müssen aus dem Geschehenen handfeste Konsequenzen ziehen. Wir brauchen deutlich mehr Kontrolle und strengere Regeln. Deswegen brauchen wir stärkere Eingriffsrechte der europäischen Statistikbehörde EUROSTAT. Wir brauchen ein Überwachungssystem für Leistungsbilanzdefizite und wir wollen den Stabilitätspakt stärken.
Jeder Staat der Eurozone ist langfristig auf solide Staatsfinanzen angewiesen. Ich finde es richtig, dass ein Staat auch nachweist, was er dafür tut. Wir haben alle vereinbart, der Schuldenstand darf höchstens 60% des Bruttoinlandsprodukts erreichen. Diese Schuldengrenze muss in Zukunft besser geschützt werden. In Deutschland haben wir die Schuldenbremse ins Grundgesetz aufgenommen. Vielleicht finden unsere Partner andere Lösungen. Wichtig ist, das sie funktionieren.
Defizite und Wirtschaftspolitik sind in der Eurozone nicht mehr rein nationale Angelegenheiten. Wenn Defizite zu sehr aus dem Ruder laufen und wenn Wirtschaftspolitik dauerhaft unverantwortlich betrieben wird, gefährden sie die gesamte Eurozone. Wenn die Politik eines Eurostaates den Euro so schwächt, dass die übrigen Eurostaaten nur noch reagieren können, werden sie zu Getriebenen der Umstände. Dann bleibt kein Raum für eine eigenständige Wirtschaftspolitik. Das kann in Europa keiner wollen.
Deswegen müssen wir vertraglich regeln, was geschieht, wenn ein Staat die Regeln, die er selbst für sich akzeptiert hat, fortgesetzt bricht. Für eine gemeinsame Währung trägt man gemeinsame Verantwortung. Die vertragstreuen Staaten müssen sich davor schützen, dass sie durch einen Staat geschädigt werden, der seiner Verantwortung nicht gerecht wird.
Wenn ein Land sich nicht aus eigener Kraft von seinem Defizit befreit, ist es da zuviel verlangt, wenn die Regierung den Haushaltsentwurf zuerst der Eurogruppe vorgelegen muss und erst dann dem nationalen Parlament? Ist es zuviel verlangt, wenn die Stellungnahme der Eurogruppe keine Ratschläge sind, sondern bindend? Wie geht es weiter, wenn der Staat sich trotzdem nicht daran hält? Sollte dann ein Sparkommissar entsandt werden? Oder der Mitgliedsstaat vielleicht sogar sein Stimmrecht verlieren? Diese Fragen müssen wir sehr offen diskutieren. Denkverbote können wir uns nicht mehr leisten. Sie alle hier erwarten zu recht von der Politik Antworten.
Die Krise zeigt erneut, dass die Stabilität des Euro von mehr abhängt als von Defiziten. Die Kriterien des Stabilitätspakts allein haben in der gegenwärtigen Krise nicht gereicht.
Das Beispiel Griechenland zeigt, wie in Krisenzeiten ein Leistungsbilanzdefizit einen Staat vor existenzielle Probleme stellt. Und zwar ganz schnell. Wir müssen mehr als bisher die Unterschiede der Wettbewerbsfähigkeit im Blick behalten. Zu große Ungleichgewichte der Leistungsbilanz sind Warnzeichen für die Stabilität der Wirtschafts– und Währungsunion.
Aber wollen wir wirklich, dass weniger Wettbewerbsfähigkeit zum politischen Ziel ausgerufen wird?
Die Volkswirtschaften in Europa sind heute so eng verknüpft, dass der Binnenmarkt nicht nur gleiche Bedingungen etwa bei Schutzstandards oder im Wettbewerbsrecht braucht. Auf lange Sicht wird Europa die nationalen Wirtschaftspolitiken besser abstimmen müssen. Damit meine ich Koordination, also freiwillige, aber auch bindende Absprachen. Wir brauchen keine Wirtschaftsregierung. Aber ein einfaches „weiter so“ kann es auch nicht geben, wenn wir mit der Währungsunion Erfolg haben wollen.
Das alles sieht auf den ersten Blick nach mehr Staat und mehr Bürokratie aus. Und ich bin keiner, der für mehr Staat und mehr Bürokratie steht. Ist es notwendig, dass die Haushalte der Mitgliedstaaten durch die Kommission überwacht werden? Oder durch gemeinsame Ausschüsse der Teilnehmerstaaten? Wenn jeder Staat seiner Verantwortung gegenüber den Partnern gerecht wird, ist das nicht notwendig. Aber wer sich an die gemeinsam gesetzten Regeln nicht hält, schadet langfristig allen, vor allem aber schadet er sich selbst. Wie kann ein Staat von seinen Bürgern Eigenverantwortung einfordern, wenn er selbst nicht bereit ist, Verantwortung zu tragen?
Nur als Verantwortungsgemeinschaft ist die Europäische Union[e] eine Zukunftsgemeinschaft.
Wirtschaftlich wird Europa in Zukunft bestehen, wenn wir im globalen Wettbewerb vorne bleiben. Europa muss auch weiter auf Innovation und Technologie setzen. Die Werkbänke der Globalisierung stehen nicht mehr vorrangig in Europa. Was wir haben und was wir ausbauen müssen, sind die Ideen für neuen technologischen Fortschritt. In Europa müssen auch in Zukunft Ideen entstehen und auch in wirtschaftliche Dynamik umgesetzt werden.
Ich sage das voller Zuversicht. Ich sage das voller Stolz auf die bisherigen Errungenschaften Europas. Ich sage das aber auch, weil ich mir Sorgen mache, wie wir diese Errungenschaften erhalten werden. Das europäische Solidarmodell, in dem der Starke dem Schwachen hilft, wenn dieser in Not gerät, ist ein Modell, für das zu kämpfen sich lohnt. Ich werde in dieser Frage manchmal missverstanden, auch absichtlich missverstanden. Den Sozialstaat und die Solidarität in Deutschland und in Europa verteidigt der am besten, der dafür sorgt, dass zuerst erwirtschaftet wird, was verteilt werden soll. Das gilt in Bonn genauso wie in Bordeaux und in Bukarest.
Die EU hatte in der Lissabon-Agenda das Ziel formuliert, der wettbewerbsfähigste Wirtschaftsraum weltweit zu werden. Aber diese Ziele wurden leider nicht erreicht. Das heißt nicht, dass wir jetzt locker lassen dürfen. Das heißt, dass wir uns noch mehr als bisher anstrengen müssen, wir alle zusammen. Nur so können wir in Europa Wachstumspotentiale erschließen und zusätzlichen Wohlstand für alle schaffen.
Dazu brauchen wir mehr Bildung und mehr Wissenschaft. Dazu muss Innovation leichter werden und nicht schwerer. Wir müssen in die hellen Köpfe von morgen investieren und nicht die dunklen Kohlenschächte von gestern subventionieren. Wir brauchen Schlüsseltechnologien wie die Elektromobilität, klimaneutrale Energieversorgung, Nano- und Medizintechnik und vieles mehr.
Wir brauchen Naturwissenschaftler und Ingenieure, die mit ihren Ideen die Welt von morgen gestalten.
Im Juni werden wir voraussichtlich eine gemeinsame Strategie für Wachstum und Arbeitsplätze „EU 2020“ beschließen. Wir müssen ehrgeiziger werden, wir müssen gemeinsam dafür arbeiten, dass wir die Ziele, die wir vereinbaren, auch erreichen.
Man hat Kritik geübt, in Deutschland sei die Nachfrage zu niedrig, das steigere die Unwucht im Binnenmarkt. Ich nehme diese Kritik ernst. Wenn Deutschland die Nachfrage im Inland erhöht, hilft das, strukturelle Ungleichgewichte in der Währungsunion abzubauen. Das wird angesichts der hohen Staatsverschuldung nicht leicht. Die Nachfrage steigert nicht die Politik. Die Nachfrage steigt, wenn die Bürgerinnen und Bürger wieder mehr Geld in der Tasche haben und sich trauen, dieses Geld auch auszugeben.
Und genau hier müsste ich eigentlich über Steuern reden und über Entlastungen. Das mache ich aber nicht.
Die dritte Herausforderung an Europa ist die Frage nach der zukünftigen außenpolitischen Rolle, nach der Rolle Europas als globaler Akteur.
Nur gemeinsam werden wir die Herausforderungen der Gegenwart meistern, von denen viele auch Herausforderungen der Zukunft bleiben werden. Klimawandel, die Frage der Sicherung von Ressourcen und der Energiesicherheit, Terrorismus und Naturkatastrophen werden uns auch in Zukunft begleiten. Gemeinsam können wir für Freihandel eintreten, für Abrüstung und nukleare Nichtverbreitung, für die Verteidigung von Menschenrechten und für die Förderung guter Regierungsführung. Gemeinsam können wir die politischen und wirtschaftlichen Chancen der Globalisierung nutzen. Die Globalisierung braucht mehr Europa und nicht weniger.
Je besser wir im Inneren verzahnt sind, je handlungsfähiger wir sind, desto glaubwürdiger und entschlossener können wir auch nach außen auftreten.
Dazu benötigen wir eine starke, einige und selbstbewusste Union. Wir wollen eine EU, die eine aktive Rolle in der Welt spielt und ihrer Verantwortung gerecht wird. Das Integrations- und Kooperationsmodell Europa muss seinen unvergleichbaren Erfahrungsschatz in die Globalisierung einbringen.
Der Vertrag von Lissabon hat den institutionellen Rahmen für ein entschlosseneres Auftreten der EU nach außen geschaffen.
Das Außenhandeln der Europäischen Union[e] wird gebündelt. Der Europäische Auswärtige Dienst tritt neben die nationalstaatliche Diplomatie. Das ist nicht das Ende der nationalen Diplomatie, sondern eine notwendige und wichtige Ergänzung. Die Mitgliedsstaaten spielen bei der Gestaltung der auswärtigen Beziehungen der Union[e] auch weiterhin eine wichtige Rolle. Aber wir müssen unsere Stimmen bündeln, damit wir besser gehört werden. In Kopenhagen haben wir beim Klimagipfel nicht erreicht, was wir erreichen wollten. Das lag natürlich vor allem an dem Widerstand nichteuropäischer Akteure, die in Kopenhagen keine Ergebnisse wollten. Es lag aber auch daran, dass es uns nicht gelungen ist, unserer gemeinsamen Stimme Gehör zu verschaffen, obwohl wir uns in den wichtigen Fragen in Europa einig waren.
Der Vertrag von Lissabon hat auch die Möglichkeiten einer Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gestärkt.
Unter anderem dadurch, dass Fortschritte möglich sind, auch wenn nicht alle EU-Staaten bereit sind, mitzumachen. Der Vertrag von Lissabon eröffnet Möglichkeiten einer vertieften Zusammenarbeit von Teilen der EU-Mitgliedsstaaten. EU-Staaten können zum Beispiel die europäische Vision einer Gemeinsamen Verteidigung entwickeln. Für mich ist klar, dass wir in einer Union[e] mit 27 Mitgliedsstaaten, die auch erweiterungsfähig bleiben will, solche Modelle brauchen.
Ich rede nicht von Ausgrenzung oder von Achsenbildung. Es ist immer besser, wenn alle Mitgliedsstaaten gemeinsam Fortschritte machen. Europäische Lösungen müssen auch in Zukunft gemeinsam beraten und entschieden werden. Das Ziel bleibt die vertiefte Integration der gesamten Union.
Ich glaube, dass mehr Gemeinsamkeit in der Verteidigungspolitik Europa stärker macht. Wenn wir im inneren die Freiheit bewahren und ausbauen wollen, müssen wir in der Lage sein, Angriffe von außen zu begegnen. Terrorismus ist die Bedrohung, die wir heute kennen. In Zukunft werden wir vor Herausforderungen stehen, von denen wir heute noch gar nichts ahnen. Auch darauf müssen wir uns vorbereiten.
Deswegen habe ich heute mit meinen polnischen und französischen Kollegen eine Initiative zur Verbesserung der Krisenreaktion und der Führungsfähigkeit gestartet.
Das langfristige Ziel der Bundesregierung ist der Aufbau einer europäischen Armee unter voller parlamentarischer Kontrolle. Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik kann ein Motor für das weitere Zusammenwachsen Europas werden.
Die Standortbestimmung Europas im globalen System erfüllt viele Bürgerinnen und Bürger mit Sorge. Ich denke, es ist vor allem der Eindruck des Kontrollverlusts angesichts einer komplexen Weltlage, deren Gefahren uns näher sind als je zuvor. Die Welt ist offener geworden, aber auch komplizierter. Die Gewichte der internationalen Politik verschieben sich. Das gilt für die Wirtschaft. Es gilt aber auch für Werte und Wissen. Aufstrebende Mächte wie China, Indien und Brasilien sind nicht nur wirtschaftliche Kraftzentren, sondern auch politische und kulturelle.
Diese Veränderungen der geopolitischen Ausgangslage verstehe ich nicht als Bedrohung, sondern als Chance. Natürlich kann Europa die Probleme der Welt nicht allein lösen. Die EU braucht Allianzen mit den großen strategischen Partnern, zuerst und vor allem mit den USA, aber auch mit Russland und Brasilien, mit Indien und mit China und auch mit der Afrikanischen Union. Nur mit diesen Partnern werden wir im Kampf gegen den Klimawandel, bei der Doha-Handelsrunde oder bei der Regulierung der Finanzmärkte Fortschritte erzielen. Nur gemeinsam werden wir den Iran davon abbringen können, sich nuklear zu bewaffnen.
Die Herausforderungen, vor denen Europa steht, sind gewaltig. Sie sind anders, aber gewiss nicht geringer als in den Generationen vor uns. Europas Weg in eine gute Zukunft ist nicht vorgezeichnet. Wir sind es, die diesen Weg prägen.
Ich scheue mich nicht, klar zu sagen, was noch gar nicht funktioniert und was noch nicht gut genug funktioniert. Wir dürfen uns von Europa kein Zerrbild machen. Wir brauchen ein Bild von Europa, das die Realität so abbildet, wie sie ist. Ausgehend davon müssen wir beherzt und mutig angehen, was zur Vollendung Europas noch zu leisten ist.
Mit dem Vertrag von Lissabon haben wir ein Jahrzehnt der institutionellen Lähmung der Europäischen Union[e] überwunden. Der Vertrag von Lissabon ist ein Gewinn für die Bürgerinnen und Bürger. Ihre Stimmen sind nicht nur in Brüssel und Straßburg lauter geworden. Denn die Parlamente sind überall in Europa gestärkt, das gilt für das Europäische Parlament wie für die nationalen Parlamente.
Ich habe heute so deutlich über die Probleme in Europa gesprochen, weil ich überzeugt bin, dass wir die Probleme kennen müssen, damit wir sie lösen können. Und wir können sie lösen. Wenn es um Europa geht, bin ich ganz selbstverständlich Optimist. Und das liegt nicht daran, dass ich aus dem Rheinland stamme. Um die Probleme Europas zu lösen, müssen Sie alle aber hinschauen und mitarbeiten und mitentscheiden. Dann können wir die Chancen Europas nutzen. Denn Europa ist auch für Sie vor allem eine Chance.
Europa ist nicht allein Aufgabe von Frau Ashton oder Herrn Barroso. Europa ist Ihre Aufgabe. Sie sind es, die Europa gestalten können.